Duelmener Zeitung vom 20. April 2002

Mit blossem Atem musikalische Faeden in der Hand gehalten
Gruppe "Harry's Freilach" gastierte in St. Viktor

Duelmen. Juedische Musik in einer katholischen Kirche - ein Paradoxon? Vielleicht sogar Gotteslaesterung? Bei der momentan ausserordentlich angespannten Situation in Israel allemal ein zu hohes Risiko? Fuer die 70 Besucher des Konzertes der Berliner Gruppe "Harry's Freilach" anlaesslich des 54. Jahrestages der Gruendung Israels in der Stadt- und Marktkirche St. Viktor wohl zu allererst einmal ein froehlicher und kurzweiliger Abend, an den sie noch lange zurueck denken werden.

1992 vom Klarinettisten Harry Timmermann gegruendet, hat die Band mittlerweile ein hohes Mass an Professionalitaet entwickelt - bei mindestens drei Auftritten pro Woche auch kein Wunder. Um so erfreulicher ist es, dass sich die Musiker ihre urspruengliche Spielfreude bewahrt haben. Von dieser Freude am gemeinsamen Spiel brachten die Vier denn auch vom ersten Stueck an eine Menge 'rueber. Harry Timmermann war dabei ein ebenso souveraener wie subtiler "Bandleader", der es meisterlich verstand, ueber seinen blossen Atem die musikalischen Faeden in der Hand zu behalten (jedenfalls meistens), um dann einen Augenblick spaeter seine Klarinette in einem Solo singen zu lassen, dass man meinen konnte, er waere in in ferne Sphaeren entrueckt.

Earl Bostic aus Detroit demonstrierte derweil die hohe Kunst des Kontrabass-Spiels: staendig praesent sein und doch meist nahe am Rande der Unhoerbarkeit spielen, zu viel verlangt von den meisten Instrumentalisten, Bostic gelang es zwei Stunden lang.

Der Lorbeer fuer Virtuositaet sollte allerdings an Alexandr Danko gehen, der am Bajan, dem russischen Knopfakkordeon, echte Meisterschaft zeigte: unfassbar schnell fliegende Finger ueber unueberschaubare Reihen von schimmernden Knoepfen boten Auge und Ohr Imposantes, woran natuerlich auch die grossartige Akustik der Viktor-Kirche gewichtigen Anteil hatte (mag die Nachkriegsdecke vielen Architekten unserer Tage auch graue Haare bereiten, der Musiker ist selig...).

Doch auch die Franzoesin Sophie Seuris, seit Oktober 2001 Mitglied der Band, brachte sich gleich zweifach begeisternd ein: als wunderbar zurueckhaltend und immer hellwach begleitende Gitarristin, die sich bei "Wenn ich einmal reich waer" ein koestliches Duell mit Akkordeonist Danko um die schoenste Begleitfigur lieferte, sowie als Saengerin von Stuecken, bei denen es verniedlichend waere, wuerde man sagen, es ging unter die "Haut". Bei "Eli, Eli, lemach sabachtani", einer Meditation ueber Psalm 22 ("Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?") mussten die Augen der anwesenden Christen unweigerlich zum Kreuz hinter dem Altar wandern, an dem Jesus, der Christus, zu sehen ist, der mit den Worten des juedischen Psalms 22 nach Eli ruft.

Rechts unterhalb des Triumphkreuzes dann ein Kerzenarrangement, wie es kraftvoller kaum sein koennte (respektvoller Dank an den Kuester): im Chorraum der siebenarmige Leuchter erinnernd an die juedische Menora, die die sieben Tage der Schoepfung symbolisiert, und davor die entzuendete Osterkerze, in der Christus, das Licht, unter uns ist.

Dies alles, Psalm, Kreuz, Menora und Osterkerze fuehren dann auch zu der Ausgangsfrage zurueck: juedische Musik in einer katholischen Kirche - zwangslaeufig und logisch fuer jeden Christen, der begriffen hat, dass Christentum ohne Bekenntnis der juedischen Wurzeln sinnlos ist. Logisch war es auch fuer Harry Timmermann und sollte es auch fuer jeden Menschen sein, dass es auf jeden Fall ein Grund zum Feiern ist, dass 1948 der Staat Israel nach heutigen Massstaeben legitimiert wurde und dass das juedische Volk ein Recht auf Heimat hat.

Diesen tiefen Wunsch nach Heimat, verbunden mit der Sehnsucht nach Frieden, drueckten "Harry's Freilach" in der Verbindung zweier Lieder aus: "Zion" und "Hine ma tov", also dem Besingen der Heimat Jeruralem und dem Wunsch: "Gut ist es, wenn Freunde (Nachbarn) in Frieden leben." Fuer diesen Frieden haben am Donnerstagabend 70 Duelmener in St. Viktor gebetet.

Christoph Falley

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