Klezmer ist seit einigen Jahren ein Mainstream des Musikbusiness, vor allem durch die Erfolge des Klarinettisten Giora Feidman und sicher auch durch das Musical "Anatevka", das einem breiten Publikum die sentimentale Klezmermusik vertraut machte. Hauptmerkmal ist die exaltierte Theatralik, die den chassidischen Rabbis eigen war. Wild gestikulierend, voller Grummeln und Stöhnen, singend, jammernd und jubelnd in einem - das ist Klezmermusik.
Kein Instrument als die Klarinette mit ihrer menschenstimmenähnlichen Phrasierung könnte besser geeignet sein, sie darzubieten. Denn eigentlich singt der Musiker und spielt nicht. Eigentlich werden keine Melodien erfunden, sondern nur die rhytmischen und melodischen Strukturen, die Texte haben, verstärkt und emotional erhöht. Und daher geht sie auch "so gut ins Ohr".
Harry Timmermann beherrscht die überaus komplizierte Atemtechnik perfekt, die nötig ist, und er ist mit seinem ganzen Körper Musik. Denn Klezmer ist ganz Emotionalität. Nur wenn sie beim Spieler vom Fuß bis in die Fingerspitzen geht, verleitet sie das Publikum zum Tanzen. Denn Tanz- und Mitmachmusik ist "Klezmer" - den ganzen Abend nur zu hören, ist eigentlich dem Wesen dieser Musik nicht entsprechend.
Alexandr Danko spielte Bajan, ein russisches Knopfakkordeon, das mit seiner Sentimentalität und ländlichen Derbheit den seltsamen Kontrast zu dem feinnervigen Klarinettenton ergibt, der den Reiz von Klezmer ausmacht. Um sich auch einmal solistisch vorzustellen, brachte er das berühmte "Asturias" von Albéniz in einer Transkription zum Vortrag.
Damit sprengte er den Rahmen der jüdischen Ghettomusik. Denn die hat zwar spanische und orientalische Einflüsse über die Sepharden, die rings ums Mittelmeer angesiedelten vertriebenen Juden Spaniens, aber das gewollt Kompositorische ist ihr gänzlich fremd. Aber wenn "die närrischen Väter" wie Ziegenböcke heruntobten oder im "Tanz der Schwiegermütter" sich ein "lnfern fatale" des Alltags bildhafte Wirkung schuf, dann war der Abend beglückend.
Versuche, das Konzertante zu betonen und stilfremde
Momente aus dem Jazzvortrag wie zum Beispiel Soli aufzunehmen,
verschafften zwar Cordula Severit an der orientalischen Percussion
wie Darabuka, Riqq und Mazhar die gebührende Aufmerksamkeit,
lenkten aber auch den Blick auf die Tatsache, daß die Gruppe
von Harry's Freilach die Musik einer weitgehend zerstörten
Kultur nur nachempfindet - begeisternd und sehr nahe am Original
allerdings, und daher mit viel Applaus zu einigen Zugaben gefordert.