Märkische Allgemeine 14.2.2007
Den Ton gefunden
Harry Timmermann ist einer der bedeutendsten Klezmer-Klarinettisten Deutschlands
Freylekh ist Jiddisch und heißt fröhlich. Ein Freylekh ist aber auch ein bestimmter Rhythmus in der Klezmer-Musik,
der herrlichen Feier- und Tanzmusik osteuropäisch-jüdischen Ursprungs, - und die ist manchmal freylekh, manchmal auch todtraurig.
"Harry's Freilach" ist all dies. Seit Mitte der 90er Jahre zieht der inzwischen in Zeuthen lebende Klezmer-Musiker
Harry Timmermann mit seiner Gruppe und dieser durch Mark und Bein gehenden Musik durch die Landen.
Mit ihm sprach MAZ-Redakteurin Andrea Müller.
Herr Timmermann, Sie spielen jiddische Musik. Sind Sie Jude?
Timmermann: Das werde ich oft gefragt. Nein, das bin ich nicht. Die anderen Musiker in "Harry's Freilach" übrigens auch nicht.
Alexandr Danko ist in Rostow am Don geboren, Earl Bostic stammt aus Detroit, Farhan Sabbagh aus Homs in Syrien und meine Frau Sophie kommt aus Frankreich.
Wir gehören unterschiedlichen Religionen an, aber keiner von uns ist Jude.
Warum spielen Sie Klezmer-Musik?
Timmermann: Die Musik habe ich mehr zufällig kennen gelernt - und zwar in einsamen Nächten als Wachmann. Ich hatte Germanistik studiert, als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität in Berlin gearbeitet und war nun frei schaffender Germanist, vor allem für den Rundfunk. Vor dem Hintergrund, vielleicht doch noch zu promovieren, habe ich damals einen Nachtwächter-Job angenommen und hatte dann viel Zeit zum Lesen und Schreiben. Irgendwann bat mich in dieser Zeit eine Nachbarin, ihr mal zwei CDs von Giora Feidmann zu kopieren, weil ihr Kassettenrekorder kaputt war. Ich hatte den Namen dieses legendären Klarinettisten in meiner Studentenzeit wohl schon gehört, ihn aber damals nicht an mich herangelassen.
Die Musik haben Sie also nicht nur kopiert, sondern auch angehört?
Timmermann: Ja, ich habe sie gehört und sie hat mich auf Anhieb fasziniert. So machte ich auch Kopien für mich und bin nur mit diesen zwei CDs in die Nächte entschwunden. Ich habe mich reingehört, habe ausschließlich dieser Musik über zwei, drei Monate gelauscht, zunächst ohne auch nur daran zu denken, meine eigene Klarinette wieder auszupacken.
Und wie kam es dann dazu?
Timmermann: Irgendwann hatte ich eine Vertretung in einer Berliner Brotfabrik und musste statt zwei Nächten fünf Nächte pro Woche wachen. Da war ich dann völlig allein und traute mich, die Klarinette mitzunehmen und mal auszuprobieren, was der Giora Feidmann da eigentlich macht. So habe ich mir praktisch den Klezmer-Stil erarbeitet. Ich hatte die Musik im Ohr und bin mit der Klarinette durch Büroräume, Fabrikhallen, Treppenhäuser und Flure gezogen. Dann merkte ich, dass das in Gang kam. Alles ging relativ schnell. Ich konnte sogar Freunde bewegen mitzumachen. Damals hatte ich die Idee, vielleicht noch Theologie zu studieren, und war mit einem Pfarrer befreundet. Als der das dann mitbekam, dass ich Klezmer-Musik spiele, packte er seinerseits seine lange nicht benutzte Gitarre aus, und wir haben zusammen probiert - er war motiviert, ich war motiviert; und er hatte vor allem einen Aufführungsraum. So sind wir 1992 zum ersten Mal in seiner Kirche in Neukölln aufgetreten. Die Gruppe ist schnell gewachsen. Bald waren wir ein Klezmer-Quintett und hatten viele Auftritte, öffentliche und private, etwa zu Geburtstagsfeiern und Hochzeiten, und es wurden immer mehr.
Was ist denn für Sie das Faszinierende an dieser Musik?
Timmermann: Was mich fasziniert hat, war die Intensität und Bandbreite der Emotionen, des Ausdrucks, der Expression.
Für die Klarinette speziell war die Möglichkeit gegeben, alles auszuprobieren, was das Instrument hergibt.
Es gibt viele stilistische Mittel, die es wirklich nur in der Klezmer-Musik gibt. Es hat mich gereizt, das alles auszuprobieren und nicht eingeschränkt zu sein vom klassischen Stil oder dem Anspruch origineller Improvisation. Auch eine bestimmte Einfachheit der Lieder hat mich dazu gebracht, mit meinen fast 40 Jahren noch einmal neu anzufangen. Beim Jazz, den ich als 18-Jähriger mit dem Saxophon gemacht habe, hatte ich immer das vage Gefühl: das erste, was zwischen der Musik und dem Musiker stand, das war das eigene Ego. Es schien so wichtig: man sollte seinen eigenen Ton finden. Das hatte für mich alles mit dem Begriff Ego zu tun, was mir suspekt war. Darum habe ich - obwohl ich schon früh auf der Bühne stand und recht erfolgreich war - die Noten und Instrumente gegen Bücher eingetauscht, das Abitur nachgeholt und Germanistik und Philosophie studiert. Das hatte schließlich dazu geführt, dass ich insgesamt 17 Jahre lang gar keine Musik gemacht habe. Als ich dann wieder zu spielen anfing, hatte ich durchaus auch den Begriff Klezmer, wie ihn Feidmann definiert, im Hinterkopf. Die Idee, dass Musik nicht etwas ist, was der Musiker macht, sondern etwas, das er durch sich hindurch lässt, indem er sich öffnet und zum Kanal, zum möglichst reinen Medium wird. Das ist eine Vorstellung von Selbstlosigkeit und Hingabe, die mich angesprochen hat. Für mich war es ein Glücksfall, so elementar an die Musik heran gekommen zu sein und sie eben nicht als Repertoire, etwa in Form von Noten, vor mir gehabt zu haben. Es ist eine Musik, die nur wirkt, wenn sie aus dem tiefsten Inneren kommt. Aber da muss sie ja erst einmal hingelangt sein. Und das geht dann doch am besten durch langes, intensives Hinhören.
An Klezmer-Musik scheiden sich die Geister. Können diese Musik nur Juden spielen?
Timmermann: Ja, das ist so ähnlich wie bei der Diskussion, ob ein Weißer Blues spielen kann. Es gibt wohl manchmal so etwas wie latente ethnische Vorbehalte in der Musikrezeption. Aber jetzt nicht so im ganz bösen Sinne. Man möchte ja auf der Bühne irgendwie ein ganzes Lebensbild, eine Lebensweise vorgeführt bekommen, nicht nur ein erarbeitetes Produkt. So kommt es zu solchen Ansichten, dass zum Beispiel jüdische Musik nur von Juden gespielt werden kann. Bei unserem Publikum spielt natürlich die deutsch-jüdische Geschichte eine Rolle, auch die christlich-jüdische. Wenn ich zum Beispiel in Dorfkirchen spiele, erfährt unsere Musik schon durch den religiösen Hintergrund des Raumes eine ganz besondere Aufmerksamkeit. Und ich versuche - auch wenn die Klezmermusik noch so lebhaft und lustig ist - ihr den ihrer Herkunft entsprechenden Respekt zu zollen. Das heißt aber nicht, dass ich so auftrete, als wollte ich meinem Publikum sagen 'Hört her, ich präsentiere euch jetzt jüdische Kultur, wie sie einmal war, bevor Deutsche versucht haben, sie zu zerstören!'
Gibt es in den Konzerten manchmal auch Anfeindungen?
Timmermann: Nein, das haben wir nie erlebt. Leute, die diese Musik nicht mögen, kommen ja nicht in unsere Konzerte und laden uns nicht zu ihren Festen ein. Und die, die kommen und uns hören, das darf ich wohl sagen, gehen meist ausgesprochen beglückt von dannen.
Klezmer-Musik zu machen ist ein Politikum?
Timmermann: Natürlich. Ich fühle mich sozusagen immer mitten im Weltgeschehen. Natürlich wird erwartet, dass ein Klezmer-Musiker sich für Israel und seine Geschichte interessiert. Dass ich jüdische Musik spiele, heißt nun aber nicht, dass ich immer ein Befürworter der jeweils aktuellen israelischen Politik bin. Klar ist aber, dass ich manchmal, nach den Konzerten oder auf den Festen, zu aktuellen Ereignissen befragt werde. Aber das ist nicht der Kern hier in Deutschland. Hier geht es meist eher, wie gesagt, um das deutsch-jüdische beziehungsweise christlich-jüdische Verhältnis.
Gibt es für Sie so etwas wie Lieblingskonzertorte?
Timmermann: Wir spielen sehr gern in Kirchen, regelmäßig zum Beispiel in der Osterkirche im Wedding und in vielen Brandenburger Dorfkirchen. Unter anderem waren wir auch schon in der Patronatskirche in Schulzendorf. Am Ostersonntag werden wir, wie schon im letzten Jahr, im Kammermusiksaal der Philharmonie auftreten. Hier habe ich übrigens zum ersten Mal meinen Inspirator Giora Feidmann live erlebt. Da ist es natürlich jedesmal ein besonderes Erlebnis für mich, auch dort spielen zu dürfen.
Sie haben im Januar angefangen, Ausländer in deutscher Sprache zu unterrichten. Werden Sie jetzt wieder der Musik den Rücken kehren?
Timmermann: Ich habe seit etwa 1995 beinahe ausschließlich von der Klarinette gelebt, ganz gut, aber doch mit ziemlich unsicheren Einnahmen. Seither hat sich privat für mich eine Menge verändert. Ich habe eine neue Frau, Sophie, die übrigens auch Musik macht, manchmal auch bei "Harry's Freilach", und die in der VHS Dahme-Spreewald Gitarre unterrichtet, und mit ihr zwei kleine Kinder. Das bringt andere Verpflichtungen mit sich. Da ist ein sicheres regelmäßiges Einkommen viel wert. Ohne Musik werde ich dennoch nicht sein. Ich brauche die Konzerte schon rein körperlich; sie sind mein Ausgleichssport!
Haben Sie inzwischen ihren eigenen Ton gefunden?
Timmermann: Das können nur diejenigen beurteilen, die mich anhören.
Kommen Sie in die Konzerte von "Harry's Freilach" und hören Sie selbst! Ich glaube aber nicht, dass er so wichtig ist, dieser eigene Ton...
Mir reicht es, einen Ton gefunden zu haben, der es mir ermöglicht, das zu transportieren, was mir Freude macht und was mir bedeutsam erscheint.