Harry's Freilachs Norddeutschland-Tournée

Harry's Freilach's Norddeutschland-Tournée vom 13. bis 18. Mai 1998

Lippesche Landeszeitung Dienstag, 19. Mai 1998

Klezmer-Musik brachte die Zuhoererschaft in Verzueckung. Im Foyer von St. Johann fand ein 

gelungenes Konzert statt.

Glueckliches Publikum in St. Johann
Freude an Klezmer

Lemgo (uhe). Standing ovations! Bravo-Rufe! Applaus, dass die Halle bebte. Wie konnte es gelingen, das sproede, serioese Lemgoer Konzertpublikum im neuen Foyer der Kirche St. Johann so aus der Reserve zu locken? Harry's Freilach, die Berliner Gruppe unter Leitung des Klarinettisten Harry Timmermann, spielte Klezmer-Musik.

Klezmer war die religioes gestimmte, chassidisch-ausgelassene Musik im ostjuedischen Shtetl des 19. Jahrhunderts. Ein Klezmer: ein Musiker, der mit seinem Instrument singen, schluchzen, grummeln und lachen konnte. Uber einer melancholischen Grundstimmung entfaltet sich die Melodie ekstatisch-wild, versonnen, tragisch, herzergreifend oder einfach "nur" froehlich. Voraussetzung dafuer, dass der Funke ueberspringt, ist, dass die Musiker sich oeffnen, anstatt sich zu produzieren. Und das tat nicht nur Harry Timmermann, der mit dem ganzen Koerper an der Klarinette hing. Der sich, getrieben von den Wuenschen des Instrumentes, bog und wiegte und dabei Melodien vom leisesten Fluestern bis zum verzweifelten Aufschrei erzeugte.

Auch Alexander Danko lauschte in sein Bajan, das russische Knopfakkordeon, hinein, und was die Zuhoerer von diesem Zwiegespraech mitgeteilt bekamen, war aeusserst hoerenswert. Auf engstem Raum tanzte Robin Draganic mit seinem Kontrabass, zupfte wie selbstvergessen die Saiten oder entlockte ihnen zaertlich-sproedes, dunkles Singen. Was Cordula Severit, die Percussionistin, aus Schellentrommel oder Darabukka an unterschiedlichen Klangfarben holte, war phaenomenal. Wer die Augen schloss, konnte glauben, sie nuetze ein umfangreiches Schlagzeug.

Und die Reaktion des Publikums? Schon nach den ersten, etwas verhaltenen Stuecken leuchteten die Gesichter. Fuesse wippten, Koepfe, Haende, Schultern zuckten im Rhythmus. Nur wenigen gelang es, sich zu beherrschen.

Nach der Pause drehten die Musiker noch etwas mehr auf: Ineinander ueber gingen Langsamer Walzer, orientalischer Tanz, Trinklied (mit Schluckauf!) und zarteste Liebeswerbung. Die gute Akustik des neuen Foyers der Kirche St. Johann unterstuetzte auch die verhaltenen Toene. Die Zuhoerer liessen sich mitreissen, nahmen jede Stimmung auf und liessen die vier Musiker auch nach zweieinhalb Stunden nur mit Bedauern von der Buehne.

Foto: Heer




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