Von Gunter Weigand
KLEZMER-MUSIK
"Harry's Freilach" zieht in der Anhäuser Mühle alle Register
Es juckte schon ein wenig in den Beinen, als die Formation "Harry's Freilach" im malerischen Innenhof der
Anhäuser Mühle aufspielte.
Das Quartett hatte jiddische Klezmer-Musik vom Feinsten im Gepäck, deren Rhythmik direkt ins Blut ging.
Es ist ein Paradoxon dieser orientalisch angehauchten Musik, dass selbst in den melancholischsten Stücken
ein unbeugsamer Hang zur Lebensfreude steckt und in den fröhlichen Tanznummern immer etwas Traurigkeit mitschwingt.
So zum Beispiel beim "7.30 Uhr-Zug", der in Monsheim in formvollendeter akustischer Schönheit einrollte.
Alexandr Danko ließ auf seinem Bajan, einem russischen Knopfakkordeon, den stampfenden Rhythmus einer Dampflokomotive
erklingen, dazu schrammelte Nikos Tsiachris auf der akustischen Gitarre und Farhan Sabbagh setzte am Schellenkranz Akzente.
Darüber spielte Bandleader Harry Timmermann mit der Klarinette formvollendete Melodien, die sich in nicht enden wollenden
Windungen vorwärtsschlängelten.
Tänze für die ganze Familie
Auch die zahlreichen Tänze wurden von dem multinationalen Quartett mit großer Spielfreude gestaltet.
Farhan Sabbagh bearbeitete Schellenkranz und diverse Trommeln und erzeugte durch verschiedene Anschlagsweisen
völlig unterschiedliche Klangresultate. Timmermann ließ seine Klarinette gelegentlich voller
Übermut quietschen, schnarren und schnalzen, dass jedem klassischen Orchestermusiker die Haare zu Berge gestanden hätten.
Doch bei dieser Musik fühlte sich das ganz natürlich an, diese verschmitzte, nicht nach dem Regelbuch orientierte Spielweise.
Am Ende des Abends hatten die Musiker dann die ganze Familie durch: Es gab Tänze für die Töchter, die Väter, die
Schwiegermütter und für die Großväter, oft mit lustigen Titeln versehen. So hieß ein Tanz "Narishe Tates", was soviel wie
närrische Väter bedeutet.
Interessant waren die Solobeiträge der Musiker. Nikos Tsiachris, ein ausgewiesener Flamenco-Spezialist,
legte eine beeindruckend virtuose Leistung hin. Obwohl er zuvor die Meinung äußerte, zu Flamenco gehöre unbedingt auch Gesang
, vermisste man hier nichts. Flink huschten seine Finger übers Griffbrett, loteten die ganze Bandbreite von piano bis forte
aus. Alexandr Danko dagegen spielte Bachs berühmtes Orgelpräludium d-Moll BWV 565, das auch auf dem Knopfakkordeon einen
nachhaltigen Eindruck hinterließ. Die Leistung des Musikers war umso bemerkenswerter, da er ja nicht auf Pedale
zurückgreifen und somit alle Stimmen mit seinen Händen spielen musste.
Das Konzert der Formation "Harry's Freilach" war ein weiterer gelungener Beitrag zum Kulturprogramm der Wormser
Nibelungen-Festspiele und wurde vom Publikum in der Anhäuser Mühle mit reichlich Applaus bedacht.
Der Lohn waren gleich mehrere Zugaben.