(ls) Man ist in Heidenheim und nicht in Berlin, denn dort ist "Harry's Freilach" wohl schon so eine Art kulturelle Institution geworden. Etwas großzügig übersetzt ist es "Harry's Fröhlichkeit", die an die Brenz reiste, um von dort dann zum Neckar zu wechseln. Und dort möchte man den vier Musikern mit Harry Timmermann doch erheblich mehr Zuhörer gönnen, als am Donnerstag im Paulusgemeindehaus zu finden waren.
Die fröhliche Klezmerbande brachte dieser kleinen Heerschar viel Freude mit einer interessanten Musik, die stilistisch wohl am ehesten charakterisiert werden kann als eine Mixtur mit orientalischem Einschlag und teilweise recht modernen Harmonien und einem Klangspektrum, das aus der dominierenden Klarinette, dem Bajan, der Darabukka und einem sowohl gestrichenen als auch gezupftem Kontrabaß zusammengestellt ist. Allemal eine reizvolle Kombination, ganz besonders dann, wenn die Musiker höchste technische und musikalische Qualität bieten.
Harry Timmermann, früher Germanistik-Dozent an der Berliner TU, hatte sich nach jahrelanger Klarinettenabstinenz an den Klängen Giora Feidmans entzündet und dem Musiker, der als Klezmer-König gilt, nachgeeifert. Mit Erfolg. Nach der Gründung des Quartetts "Harry's Freilach" dauerte es nur zwei Jahre, bis Timmermann sich zum profiliertesten Klezmer-Klarinettisten in Deutschland entwickelte. Timmermann hat eine faszinierende Blastechnik, beherrscht gezieltes Überblasen seines Instruments und verschiedene Klangeinfärbungen perfekt. Perfekt ist auch der russische Virtuose Alexandr Danko mit seinem Bajan, der die Zuhörer von den Sitzen reißt, sowohl wenn er mit Timmermann als auch wenn er solistisch spielt. Was er mit seinem Instrument leistet, würde manchen Studierenden an der hohnerschen Hochschulhochburg Trossingen dazu bringen, sein Studium endgültig an den Nagel zu hängen. Ganz gleich, ob er die Musiken aus dem Schtetl begleitet oder eine raffinierte Transkription von Isaak Albéniz' "Asturias" musikalisch virtuos auf die Spitze treibt: Danko fasziniert restlos.
Neben dem Russen aus Rostow-am-Don spielt Cordula Severit mit der Darabukka, einer einfelligen vorderorientalischen Trommel aus Ton, eine weit wichtigere Rolle als nur das rhythmische Zusammenhalten des Ensembles. Durch überaus geschickt eingesetzte Schläge mit beiden Händen variiert sie den Ton der Trommel, die damit klanglich mit dem Ensemble verschmilzt, ganz besonders mit dem Kontrabaß, wenn er gezupft wird.
Earl Bostic vollendet mit seinem hervorragenden Spiel an der großen Geige den Gesamtklang des Ensembles homogen, läßt bei der großen musikalischen Bandbreite zwischen einem chassidischen Tanz aus der weltabgewandten neomystischen Bewegung bis zum "Wenn ich einmal reich wär'" aus Jerry Bocks "Anatevka" keinerlei qualitative Unterschiede hörbar werden. Mit geradezu unermüdlicher Technik spielt Earl Bostic als musikalischer Dauerläufer fantastisch im Quartett mit, bildet den harmonischen Boden für die anderen Musiker.
"Harry's Freilach" ist einerseits gut für
traditionelle Stücke wie "Am Sabbattag", kann aber
auch die pfiffige Fröhlichkeit herrlicher jüdischer
Tanzmusik, etwa in den Schwiegermütter- und Großvätertänzen,
durchaus mit einem ironischen Zwinkern den Zuhörern vermitteln,
denen es schwerfällt, so ganz ruhig auf ihren Plätzen
auszuharren. Somit war der gesamte Auftritt des Quartetts ein
"Freudentanz", der unter die Haut und direkt ins Blut
ging.