Neustrelitz. Zwei kurze Stunden
lang Bilder von wirbelnden Füßen, von Freude und Lust
am Tanz und Leben im Geiste sehen und dabei der Versuchung widerstehen,
aufzuspringen und sich mitreißen zu lassen vom Rhythmus
der Musik. Diesen Kampf hatten am Sonnabend abend die Zuhörer
auszufechten, die in die alte Kachelofenfabrik gekommen waren,
um die Gruppe "Harry's Freilach" zu hören. Die
Ankündigung ihrer Klezmer-Musik hatte Zuhörer so zahlreich
kommen lassen, daß der Garderobenständer zusammenbrach
und der Saal nicht alle Gäste fassen konnte.
Drei Virtuosen im Spiel
Zwei Stunden eine lachende, jauchzende, tremolierende, schluchzende und manchmal auch trotzige Klarinette, dazu ein perfekt gespieltes Bajan, das russische Knopfakkordeon, angefeuert von der Darabukka, einer vorderorientalischen Vasentrommel, oder der Riqq mit ihrem Klang von Tamborin und Schellen. Mit ihren Instrumenten, ihren Körpern, ihren Seelen sangen die drei Musiker ihre Klezmer-Lieder ohne Worte. Es bedarf ihrer nicht. Entstanden ist diese Musik bei den Juden des Ostens. Ihren Einfluß bezog sie aus osteuropäischen und orientalischen Harmonien und Rhythmen. Über Amerika hat diese Musik zurück ihren Weg nach Europa und besonders Deutschland gefunden. Die Melodien sind jauchzend und freudig, melancholisch und versonnen, lockend, manchmal feierlich -immer aber sind sie expressiv und stark. Klezmer-Musik lebt neben ihren Rhythmen und den Melodien sehr stark auch von ihren Interpreten. "Harry's Freilach" am Sonnabend abend war mit Dreierbesetzung gekommen. Die Gruppe spielt variabel vom Duett bis Quartett.
Viortuos und mitreißend mit der Klarinette Harry Timmermann, der die Gruppe 1992 gründete. Für Musikfreunde ein Glücksfall, daß eer damals nach dem Germanistik- und Philosophie-Studium seine Dozentenstelle in Berlin aufgab und sich der Klezmer-Musik verschrieb. Harry Timmermann wurde 1952 bei Güstrow geboren. Dem Bajan kann Alexandr Danko unglaubliche Stimme verleihen. Danko wurde 1962 in Rostow am Don geboren. Dort studierte er das Instrument. Er ist viel zu Solokonzerten klassischer Musik und Folklore unterwegs. 1992 wurde er für "Harry's Freilach" entdeckt - ein weiterer Glücksfall. Cordula Severit mit der Riqq und anderen Percussionsinstrumenten ist von Beruf Papierrestauratorin in einem Berliner Museum. Auch sie ist seit 1992 in der Gruppe dabei. Diesen drei Musikern haben Neustrelitzer Musik- und Kulturfreunde das live-Erlebnis einer Musik zu verdanken, das sie so bald nicht vergessen werden, Suchtgefahr eingeschlossen.
Weiteres Plus des Abends: das Fehlen jeglicher Technik.
Es kommt nicht mehr oft vor, daß Musik noch so unmittelbar
über das Ohr in den Bauch gehen darf.