DER TAGESSPIEGEL 30. Juni 1995

Mit dem Knopfakkordeon durch die halbe Welt

Berlin ist für den russischen Virtuosen Alexandr Danko zum Existenzmittelpunkt geworden

von Jochen Metzner

Berlin. In früheren Jahrzehnten war es ihm trotz vieler Anstrengungen noch nahezu unmöglich, die Grenzen seiner Heimat auch nur vorübergehend mal hinter sich zu lassen.. Doch inzwischen sind auch für den schon immer ungemein reise- und kontaktfreudigen Spielmann aus dem russischen Rostow am Don längst bessere Zeiten angebrochen. Alexandr Danko weiß die neue Freizügigkeit sehr wohl zu schätzen und hat seitdem schon die halbe Welt, vor allem aber fast ganz Europa durchstreift, sein russisches Bajan-Knopfakkordeon der Marke "Jupiter" immer im Gepäck. Wo er auch hinkommt zwischen Siziliens bröckelnden Tempelresten und Schottlands Hochmooren - überall kann der schmächtige Virtuose vom Don mit einem andächtig lauschenden Publikum rechnen.

Kein Wunder: So hält Danko neben einem breitgefächerten Repertoire von deftigen Folk-Gassenhauern bis zur barocken Klassik für Hörer auf den Britischen Inseln etwa ein kompaktes McCartney-Medley bereit, während er die unsrigen speziell mit dem Walzer-Wellenschlag der "Blauen Donau" erquickt. Spätestens während der Zugaben ist dann allerdings jeweils die Umkehrung fällig, die lokalen Zugnummern werden selber taktvoll auf Reisen geschickt und kräftig variiert. Dankos Fingerfertigkeit sowie das ungewöhnlich breite Klangspektrum der traditionellen russischen Akkordeonspielart mit ihrer bündigen Chromatik ließen ihn inzwischen aber auch zu einem gefragten Mitspieler in den unterschiedlichsten Ensembles werden - von heimatlicher Hochzeitskapelle bis zur britischen Folkformation. Sind solche Stil- und Stimmungswechsel nicht manchmal sogar für einen gestandenen Profi-Knöpfchendrücker mit staatlichem Musikdiplom etwas schwer zu verkraften? "Das ist ganz normal! Ich esse ja auch die unterschiedlichsten Sachen", sagt Danko.

In jüngster Zeit ist Berlin immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt, wenn nicht gar Orgelpunkt seiner Existenz geworden. Auch an der Spree fiel dem gelehrigen Sohn einer Rostower Arbeiterfamilie das Knüpfen neuer Kontakte schon deshalb nicht allzu schwer, weil er neben der Musik noch eine zweite Weltsprache beherrscht. "Ich bin Esperantist", bekennt er nicht ohne Stolz. "Esperanto ist überall eine besondere Gemeinschaft! Denn viele fangen an und wollen es lernen, aber nur wenige bleiben dabei." Besonders geholfen hat ihm der Pfarrer der Neuköllner Nikodemus-Gemeinde, der ihm in der vorzüglichen Akustik seines Gotteshauses die Einspielung seiner neuesten Musikkassette ermöglichte.

So richtig loskommen von Berlin dürfte der ungebremst reisefreudige Troubador deshalb wohl auch in Zukunft nicht. Denn außer mit seinen hiesigen Solokonzerten stößt er inzwischen auch schon als Mitspieler diverser Ensembles auf gute Resonanz, vor allem mit der Klezmer-Kapelle Harry's Freilach. Obwohl der virtuose Weltenbummler immer wieder gerne zu seinen Freunden nach Rostow zurückreist, bietet ihm das Leben in seiner Berliner Wahlheimat bereits manch reizvolle Aussicht. "In Deutschland mag ich am meisten...Ruhe und Ordnung, ja!", bekennt er. "Die Leute können hier auf den nächsten Tag vertrauen. Und daß ein Bus kommt an der Haltestelle. Das ist nicht wenig. In Rußland weiß niemand etwas über morgen und übermorgen." Die nächste Reise wird den Neuberliner weit nach Norden bis ins finnische Tampere führen: Dort liefert Alexandr Danko Ende Juli die Begleitmusik zum Weltkongreß der Esperanto-Liga.


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